25.07.25
Exhibition ‚BELOW‘ im Kunstraum kunst[]klima /w Silja Lenz
Ein Beitrag von Julia Wirth.
Wir stehen heute vor – oder fast schon in – einem Werk von Silja Lenz, das mehr als ein Objekt zeigt: Es ist eine Erfahrung, ein Fragment, das mehr erzählt als es offenbart.
Tentakel, die uns beinahe berühren, uns aber zugleich irritieren. Alles bleibt unvollständig – gerade das führt dazu, dass wir genauer hinschauen müssen.
Der Oktopus: ein faszinierendes Lebewesen, verborgen im Meer, mit einer
Intelligenz, die sich unserem Verstehen entzieht.
Oft begegnen wir ihm nur in seiner industrialisierten Form: paniert im Kühlregal, als Sushi auf dem Teller – Hunderte Kilometer entfernt vom Meer. Unsere scheinbare Freiheit, jederzeit alles konsumieren zu können, bringt eine
eigentümliche Distanz mit sich.
So begegnen wir dem Oktopus meist nicht als Lebewesen, sondern als Ware,
Produkt, zerteilt, entfremdet.
Diese Entfremdung geht tief: Wir essen, wir bewundern, wir studieren seine Anatomie – und doch bleibt uns das Wesen des Oktopus verborgen.
Er entzieht sich unserem Blick, weil er nicht in unsere Kategorien passt: Seine Intelligenz, seine Wahrnehmung, seine Bewegung sind vielschichtig, dezentral – etwas Eigenständiges, Fremdes, von einer anderen Welt.

Das Werk von Silja Lenz macht sichtbar, was wir oft verdrängen:
Wir sind Teil der Natur, behandeln sie aber nur allzu oft als Ressource.
Dieses Werk zeigt Spuren unseres Eingriffs, der Überformung und
Zerstörung, eingefroren in einem Fragment.
Es fordert uns heraus, unser Verhältnis zur Natur zu überdenken – nicht als Herrschaft, sondern als Verantwortung.
Die Kunst hier ist kein Gleichnis, sondern ein Spiegel:
Ein Spiegel, der unsere Hybris reflektiert – den Glauben, alles besitzen, verändern, bewahren und doch unberührt bleiben zu können.
Salz, einst wertvoller als Gold, konserviert das Tier für uns – doch was bedeutet das für das Wesen selbst? Es bleibt tot, eingefroren, ein Relikt einer Welt, die wir kaum mehr verstehen.
Kunst öffnet einen Raum für Ambivalenz – für das Fremde, das Nicht-Nutzbare, das Unverfügbare.
Hier begegnen wir dem Oktopus nicht als Objekt, sondern als Präsenz, die uns hinterfragt:
Wie gehen wir um mit dem, was wir nicht verstehen? Können wir Respekt üben für das, was keinen ökonomischen Wert besitzt?

Silja Lenz stellt so eine zentrale Frage unserer Zeit:
Wie bemessen wir Wert? Nicht nur den Preis, sondern den Wert von Leben, Material, Beziehung.
Sie hinterfragt das Prinzip der Verwertung, das uns unsere Umwelt fremd und uns zugleich blind macht für das Eigene, das Andere, das Wesentliche.
Vielleicht liegt die größte Herausforderung heute nicht darin, was wir von der Natur nehmen könnten, sondern in dem, was wir ihr lassen:
Freiheit, Würde, Raum und Zeit.
Diese scheinbar schlichte Frage ist radikal – sie fordert uns, über die bekannten Grenzen unseres Denkens hinauszugehen.
Die Kunst gibt keine fertigen Antworten, sie schenkt uns Mut zum Zweifel und zur Reflexion.
Lassen wir uns also auf diesen Blick ein: auf das Fragment, auf den Oktopus, auf uns selbst.
Und vielleicht finden wir darin eine neue, tiefere Form von Respekt – jenseits jedes Nutzens
Fotografin: Ulrike Reichart

Der Kunstraum kunst[]klima ist der erste Kunstraum in Stuttgart, der ausschließlich Ausstellungen zum Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit zeigt. Die Klammer zwischen den Begriffen Kunst und Klima erhält eine Leerstelle, die einen möglichen Raum für Kommunikation und Verbindung öffnet und Offenheit und Flexibilität bewahrt.
Gezeigt werden einzigartige Ausstellungen mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern aus unterschiedlichsten Disziplinen, wobei der Fokus auf überwiegend wissenschaftlichen Themen wie Klima, Wetter, Klimawandel, Energiewende, Pflanzen, Wasser, Erde, Erdgeschichte, Biologie, Biochemie, Chemie und Künstliche Intelligenz liegt.