22.10.25

kunst[]klima Projektraum /w Marie Salcedo Horn „old stone hold my soul"

when I am not in this place, face the sunrise for me
Auszug von To Gahheya Ursula K. Le Guin (Always coming home, 1985)

Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts neigt sich dem Ende zu.
Krisen, Kriege und der Klimawandel umgeben uns. Und lassen uns ohnmächtig werden. Wie sehen wir unsere Zeit und unsere Zukunft?
Marie Salcedo Horn ist 30 Jahre alt und fragt sich, wie Menschen im Alter von 10, 20, 40, 50, 60, 70, 80 oder 90 Jahren über die Zeit und unsere Zukunft denken. Steine bieten hierfür einen Bezugspunkt. Sie waren schon lange vor uns da und werden uns, die wir heute leben, überleben.

Umgeben von Steinen und ihrer Vergänglichkeit können Menschen jeden Alters ihre Perspektiven auf Zeit und Zukunft teilen und versuchen, mit den Steinen zu atmen. Gemeinsam erleben wir verschiedene Körper- und Hörübungen. Steine stehen für Beständigkeit, Unbeweglichkeit und Stille, bewegen und verändern sich aber auch, nur in einer anderen Zeitlichkeit als wir Menschen. Können sie uns Stabilität geben?

Marie Salcedo Horn im Gespräch mit Julia Wirth

Liebe Marie, dein aktuelles Projekt im kunst[]klima Projektraum schafft, wie ich finde, eine sehr besondere Atmosphäre. Was war der Ausgangspunkt oder das erste Element, das dich zu dem Projekt inspiriert hat?

Der Ausgangspunkt war die Frage von Barbara Karsch-Chaïeb, der Kuratorin des kunst[]klima Raums, ob ich Lust hätte mit dem Steinbruch im Travertinpark zu arbeiten.

Ich hatte sehr Lust darauf. Ich habe schon in einigen Steinbrüchen gearbeitet. Daran interessieren mich zwei Aspekte: Zum einen das Graben und Abtragen von Stein. Materie wird freigesetzt, die die Menschen eigentlich so nicht wahrnehmen könnten. Damit einher geht die Geschichte des Bergbaus, der aggressiv, verschmutzend, gewalttätig, zerstörerisch war und ist. Und das Verständnis um die Natur als Ressource, die wir ausbeuten.

Zum anderen interessiert mich die Erfahrung in dem Moment, wenn ich in einem Steinbruch stehe, viele Meter unter der Erde, auf einer Ebene mit Gestein, dass 300.000 Jahre alt ist. Das lässt mich fallen. Ich kippe aus meiner Zeitlichkeit in eine ganz Andere - und auch wieder zurück. Diese Fähigkeit finde ich spannend.

Welche Rolle spielt der Ausstellungsraum selbst für dich, wie sich deine Arbeiten im Raum entwickeln oder im Raum präsentiert werden?

Der Ausstellungsraum spielt für mich eine sehr große Rolle. In allen Räumen, in denen ich ausstelle, muss ich mich für eine gewisse Zeit aufhalten und ein Gefühl dafür bekommen. Auch im kunst[]klima Raum war das wichtig. Da ich in Berlin wohne und nicht so leicht nach Stuttgart kommen kann, war ich ein paar Wochen vor dem Beginn der Ausstellung das erste Mal hier. Ich hatte davor schon ein Konzept, aber die Klarheit kam erst, als ich im Raum stand und mit dieser Erfahrung in Berlin weiterarbeiten konnte.

Teil deiner Arbeit ist eine Audioarbeit in der du Besucher*innen unterschiedlichen Alters zu deinen Fragen über Zeit interviewst. Wie wichtig ist dir diese Vielstimmigkeit?

Ich möchte eine Offenheit und eine Mehrdeutigkeit bestehen lassen. Meine Themen, die sich immer mehr oder weniger explizit auf das Verhältnis des Menschen mit seiner lebendigen Umgebung beziehen, können schnell belehrend werden. Ich möchte nicht den Finger aufzeigen und anmahnen oder erklären - sondern fragen. Um die Fragen, die ich mir stelle, teilen. Unsere Beziehung zur Umwelt nehme ich als sehr ambivalent wahr, das ist mir wichtig, diese Ambivalenz wiederzugeben.

Gibt es etwas, das dich zurzeit besonders beschäftigt außerhalb der Kunst, das vielleicht indirekt in deine Praxis hineinwirkt?

Zeit - beziehungsweise die Kostbarkeit und das Ringen um sie - welche einer der Ausgangspunkte der Ausstellung war. In meinem Ausstellungstext habe ich es schon beschrieben. Ich bin jetzt 30 Jahre alt. In den letzten zwei Jahren habe ich eine große Veränderung in meinem engen Umfeld zum Thema Zeit erlebt. Als freischaffende Künstler*innen müssen wir uns fast alle mit weiteren Jobs neben dem eigenen künstlerischen Schaffen finanzieren. Die Mieten für Atelier und Wohnung und das Leben generell wurden immer teuer. Der Stundenlohn steigt nicht unbedingt. Man muss immer mehr arbeiten und Zeit wird immer kostbarer. Es bleibt weniger Zeit für das ‚Kunst-Machen’ und auch weniger Zeit für das soziale und die schönen Dinge.

Deine Arbeiten scheinen zwischen Stille und Bewegung zu pendeln. Wie findest du dieses Gleichgewicht für dich selbst?

Ich würde sagen, dass ich ein langsamer Mensch bin. Wenn um mich herum alles schnell und chaotisch wird, dann gibt es entweder die Möglichkeit, dass ich aufspringe und ganz wild und hektisch werde. Dann muss alles, zack zack zack, effektiv gelöst werden. In den letzten Jahren habe ich aber beobachtet, dass ich in solchen Momenten eher ruhig werde. Je wilder es ist, desto mehr gerate ich in einen Zeitlupen-Modus. Werde still, und dadurch auch stabil und standhaft. Ein bisschen werde ich wie ein Stein, lasse Dinge auf mich zukommen, an mir abprallen, mich nicht wirklich stressen. Ich glaube, dass ich durch die Kunst, in der ich meiner Zeitlichkeit Platz, Raum und Wichtigkeit geben kann, das lernen konnte. Ich lebe in einer sehr großen schnellen Stadt. Ich glaube, dass man auch im Alltag die Fähigkeit braucht, sich abzugrenzen von der Schnelligkeit. Ich bemerke es an mir selbst, wie immer mehr Dinge nicht zu mir durchdringen. Informationsmesse, Bilder, Videos. Da bemerke ich auch, wie meine Konzentration und mein Fokus immer schwieriger für mich werden, zu halten oder gar aufzubauen. Steine helfen mir da irgendwie runterzukommen. Und manchmal lege ich mich auch einfach auf den Boden, im Park oder im Garten.

Wenn du das Projekt hier in einem einzigen Wort oder Bild zusammenfassen müsstest, welches käme dir spontan in den Sinn?

Festhalten wollen, aber nicht können. Greifen wollen, aber es entzieht sich dir.

Gibt es Reaktionen von Besucher*innen, die dich in letzter Zeit überrascht oder berührt haben?

Ich habe in dieser Ausstellung ausprobieren wollen, wie es ist, wenn die Besucher*innen selbst etwas bauen können, mitmachen können.
Es gibt Lehm aus der Schwäbischen Alb, den man zu kleinen Steinformen mithilfe von Abformungen drücken kann. Viele stürzten sich auf das Machen und waren ganz begeistert. Ein Besucher hat ganz stolz seine Lehm Kreationen fotografiert. Das fand ich rührend und auch bestätigend, dass das Selbermachen so etwas Wichtiges ist und es nicht viel braucht, um so einen Moment zu ermöglichen. Eigentlich nur ein bisschen Lehm und Zeit.
Ich arbeite als Keramik-Lehrerin und arbeite viel mit Kindern. Diese sind zwischen 6-15 Jahre alt. Es ist immer wieder erstaunlich für mich, was für eine beruhigende Wirkung das Arbeiten mit Ton für sie hat.

Welche Bedeutung hat für dich der Moment, nachdem eine Ausstellung endet?

Eine Ausstellung ist für mich immer auch eine sonderbare Sache. Ein bisschen fühle ich mich immer noch, als würde ich ‘Ausstellung machen’ spielen. Ich arbeite auf einen Moment hin, zeige etwas- ja, teile meine Suche, meine Auseinandersetzung mit einer mir bekannten und auch unbekannten Gruppe an Menschen und bekomme vielleicht Reaktionen, vielleicht aber auch nicht.

Oft fühle ich mich danach leer. Das passiert schon während der Ausstellung und danach noch mehr. Desto mehr freue ich mich über Austausch, Feedback, Menschen, die auf mich zukommen und vielleicht entstehen daraus dann schon neue Projekte.

Das Gespräch führte Julia Wirth, Kunstvermittlerin des kunst[]klima Projektraums

Der kunst[]klima Projektraum von Kuratorin und Künstlerin Barbara Karsch-Chaïeb ist der erste Kunstraum in Stuttgart, der ausschließlich Ausstellungen zum Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit zeigt.
Die aktuelle Ausstellung „old stone hold my soul” von Marie Salcedo Horn ist noch bis Ende Oktober 2025 zu sehen.

kunst[]klima Projektraum
Breitscheidstraße 104A
70176 Stuttgart

Photocredits

  • Marie Salcedo Horn
interview art kunst[]klima